Schwere Schritte dunkle Gassen
Zeitreise mit dem Nachtwächter
Das schwere Gewand des Nachtwächters raschelt leise, als er die Stufen zum Turm der St. Laurentiuskirche hinaufsteigt. Bei jedem seiner Schritte knarzt das alte Holz, und seine Laterne wirft flackerndes Licht auf die Stufen vor uns. Den Stab, die sogenannte Hellebarde, hat er am Eingang zurückgelassen – zu mühselig wäre es, ihn die 138 Stufen bis ins oberste Stockwerk des Turmes zu schleppen. Wir folgen ihm – neugierig und gespannt auf das, was uns dort oben erwartet.
Wir, das sind mein Mann Jan, unsere beiden Kinder Tim und Julia und ich, Heike. Die Turmbesteigung ist nach dem Schloss Gayenhofen die zweite Station der heutigen Nachtwächterführung – und der Höhepunkt des abendlichen Rundgangs. Unser Nachtwächter Markus hat uns bereits viele spannende Details über die Geschichte der mittelalterlichen Stadt Bludenz und ihre Entwicklung bis in die heutige Zeit erzählt. Jetzt, fast oben angekommen, können wir schon die drei Glocken der St. Laurentiuskirche erahnen. Markus erklärt uns, dass die Bludenzer 160 Jahre sparen mussten, um sich den Wiederaufbau des Kirchturms nach einem verheerenden Brand leisten zu können.
Leicht außer Atem erreichen wir schließlich die kleine Plattform unterhalb des Zwiebelturms. Markus öffnet die Läden der acht Fenster – und der Anblick raubt uns ein weiteres Mal den Atem. In der Abenddämmerung erstrahlen die Lichter der Stadt, während unser Blick über die umliegenden Berge und Täler schweift: das Brandnertal, das Klostertal und der Walgau. Einfach wunderschön. „Mama, da hinten waren wir heute Vormittag Skifahren, oder?“, ruft Tim aufgeregt. Und er hat Recht. Ganz am Ende des Tales, das sich von hier Richtung Süden erstreckt und Brandnertal nennt, haben wir beide heute die Pisten unsicher gemacht, während Papa und Julia sich auf Rodelsafari begeben haben.
Ein letztes Familien-Selfie mit dem funkelnden nächtlichen Bludenz im Hintergrund, und schon geht es weiter. Markus möchte uns noch die mittelalterlichen Gassen der Altstadt zeigen und uns in die Aufgaben eines Nachtwächters einweihen. Jahrhundertelang wachte er über den sicheren Schlaf der Bürger, patrouillierte bei Dunkelheit durch die Straßen und Gassen, sorgte für Ruhe, warnte vor Dieben und Bränden und rief die Stunde aus – in Bludenz bis in die 1970er-Jahre.
Nach all diesen spannenden Eindrücken meldet sich langsam mein Magen. Zum Glück erwartet uns zum Abschluss eine würzige Käseplatte. Und für Jan und mich ein herrlich kühles Fohrenburger Bier. Zum Wohl!