Einen Tag und eine Nacht

In der Propstei St. Gerold

Ich habe mir vorgenommen, 24 Stunden lang abzuschalten und zur Ruhe zu kommen. Dafür habe ich mir schon im Sommer ein Zimmer in der Propstei St. Gerold gebucht. Es ist September, und heute fahre ich dorthin, um mir eine kurze Auszeit zu gönnen – einfach nur ich.

Nach einer Begrüßung an der Rezeption bringe ich meine Tasche auf das Zimmer. Es ist schlicht und modern eingerichtet, mit viel Holz – genau so, wie ich es mag. Die herbstliche Morgensonne genieße ich auf der Terrasse, wo ich etwas trinke und den Blick in die Berge und auf das gegenüberliegende Bergdorf Raggal schweifen lasse. Meinen Gedanken lasse ich freien Lauf. Danach nehme ich an einer interessanten Führung mit Betriebsleiter David durch die Propstei teil.

Am Nachmittag blättere ich durch Zeitschriften und lese. Schon bald ist es Zeit für das Abendessen. Pater Martin, in seiner schwarzen Kutte, kommt persönlich an jeden Tisch und begrüßt die Gäste. Auch mich spricht er an. Seine Worte sind weise und inspirierend, genau das, was ich in diesem Moment brauche. Die drei Gänge schmecken hervorragend, und so tut es auch der der rote Klosterwein. Es fühlt sich gut an, so nah von Daheim (mein Zuhause ist nur etwa 30 Kilometer weit entfernt) und doch so weit weg von der Hektik des Alltags zu sein. Später falle ich in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

Am nächsten Morgen habe ich den Pool für mich entdeckt. Er wirkt retro und ist dadurch schon wieder modern. Ich schwimme ein paar Bahnen, bevor ich mich zum Frühstück setze. Wieder treffe ich Pater Martin. In der Morgenpost teilt er kluge Gedanken. Ein Zitat aus seinem Buch über "Baustellen des Lebens" spricht mich besonders an, und ich beschließe, mir das Buch im Klosterladen zu kaufen.

Nachdem ich die paar Seiten  gelesen habe, ist es fast 11:00 Uhr – Zeit für eine Besinnung in der Kirche. Viele Kinder sind heute dabei, und Pater Martin hält eine Andacht, wie ich sie mir als Kind immer gewünscht hätte: kindgerecht und voller Humor. Er erzählt, dass jedes Lebewesen wertvoll sei, sogar die kleine Wanze. Dann singen alle gemeinsam, die Kinder und die Erwachsenen, während Pater Martin auf der Orgel spielt: „Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt ’ne kleine Wanze.“